Fallout 4: enttäuschend auf hohem Niveau


Es ist eine ganze Weile her, dass ich Fallout 4 gestartet habe. In der Zwischenzeit habe ich mich immer wieder anderen Spielen gewidmet und deren Tests veröffentlich. Das ist schon einmal kein zu gutes Zeichen. Zudem muss ich gestehen, dass ich Fallout 4 immer noch nicht durchgespielt habe. Und diese nächsten Worte fallen mir nicht leicht. Ich werde es wahrscheinlich auch nicht mehr durchspielen. Denn dieses Fallout 4 reizt mich nicht mehr. Im Gegenteil, ich habe momentan einfach keine Lust weiter zu spielen. Ist Fallout 4 denn wirklich so schlecht? Auf gar keinen Fall! Lest weiter und ich erkläre euch, was meine Probleme mit Bethesda neuesten Mega-RPG sind.

Dabei beginnt Fallout 4 wirklich gut. Ihr seht die Welt kurz vor  der nuklearen Katastrophe. Dürft sogar den Beginn des Krieges miterleben. So rettet ihr euch mit eurer Familie in letzter Sekunde in die Tiefen von Vault 111. Dort werdet ihr in eine Art Hyperschlaf versetzt, um die lange Wartezeit unter der Erde zu überstehen. Doch ihr werdet unsanft geweckt. Eure Frau wird vor euren Augen erschossen und euer neugeborenes Kind entführt. Kurz darauf könnt ihr den Vault verlassen. Und ihr habt nur ein Ziel vor Augen. Ihr wollt euren verlorenen Sohn finden. Dabei durchstreift ihr das verwüstete Commonwealth rund um die Stadt Boston, schließt euch verschiedenen Fraktionen an und kommt den Machenschaften des Instituts und ihren Synths (künstlichen Menschen) auf die Spur.

Im Kern ist diese Story echt nicht schlecht. Durch die Entführung des Sohnes kommt sogar eine ganz persönliche Motivation hinzu. Doch Bethesda kann einfach nicht gut erzählen. So verliert sich die an sich grundsolide Story viel zu schnell zwischen unzähligen banalen Quests und Nebengeschichten, aber dazu später mehr. Vor allem dieser Einstieg will schon nicht so recht funktionieren. Warum? Weil er viel zu gehetzt daherkommt. Warum darf man nicht länger durch die heile Welt streifen, eine Verbindung zu seiner Familie aufbauen? So bleibt der Einstieg, wie die restliche Story, nur im Ansatz interessant. In der Umsetzung geht es aber ganz schön in die Hose. Dazu wirkt es einfach lächerlich wenn unser Protagonist auf der Suche nach seinem Sohn erst einmal unzähligen Nebenaufgaben hinterherrennt, Siedlungen gründet, alte Bunkeranlagen plündert und sich Stunden, wenn nicht sogar Tage später, erst wieder an seinen Sohn erinnert. Die Story wirkt überhaupt nicht fokussiert. Dadurch kann auch keine Spannung aufkommen. Das ist der Fluch der offenen Spielwelt, den zum Beispiel ein The Witcher 3 großartig gelöst hat, indem es kleinste Nebenaufgaben mit der Hauptquest verwoben hat. Fallout 4 gelingt das nicht.

Das liegt vor allem auch daran, dass diese Quests wirklich in den meisten Fällen nicht gut sind. Fast immer werdet ihr in eine neue Instanz geschickt, ballert dort alles über den Haufen und zurück um die Belohnung abzufassen. Nach beinahe 50 Stunden Spielzeit ist mir noch keine einzige Quest untergekommen, in der ich den Konflikt nur durch den Dialog hätte umgehen können. Viel zu oft betretet ihr einen Raum und werdet von allen Seiten beschossen. Das hat ein Fallout 3 noch deutlich besser gemacht.

Apropos Dialoge und Dinge, die Fallout 3 besser gemacht hat. Das Dialogsystem in Fallout 4 ist, und ich muss es so drastisch sagen, unterirdisch. Ihr habt immer nur vier Antwortmöglichkeiten: Ja, Nein, Nachfragen und Sarkasmus. Es gibt keine ausformulierten Sätze mehr, die es euch erlauben, genau zu beeinflussen, wie Dialoge verlaufen. Diese Vereinfachung ist eine der größten Schwächen im Vergleich zum Vorgänger. Was sollte das Bethesda? Wie oft habe ich mir mehrere Antwortmöglichkeiten gewünscht?! So verliert Fallout einen großen Teil seiner eigenen DNA.

Eine weitere Änderung, die bei mir nur für Kopfschütteln gesorgt hat, betrifft die Charakterentwicklung. Früher haben sich eure Skills verbessert, indem ihr sie einfach benutzt habt. Ihr konntet erfolgreich verhandeln? Euer Charisma steigt. Ihr habt einen schweren Gegner mit dem MG ausgeschaltet? Eure Fertigkeit mit schweren Waffen umzugehen verbessert sich. Das war nicht nur intuitiv, sondern hat auch die Spielwelt und euren Charakter greifbarer gemacht. Ihr hattet dessen Entwicklung durch eure Aktionen und eurer Spielweise ganz einfach in der Hand. Und jetzt? Jetzt müsst ihr in der Welt versteckte Heftchen finden. Ernsthaft?! In einer Spielwelt, in der ihr jeden Schrott aufsammeln könnt, verlässt sich Bethesda darauf, dass ihr einzelne Heftchen in all dem Chaos sucht und findet? Ich will gar nicht wissen, wie viele dieser Level Ups ich schlicht und einfach übersehen habe, weil sie unter einem Berg von Schutt und unbrauchbaren Zeug versteckt waren. Dazu kommt dann noch das unübersichtliche Perk-System und fertig ist die Charakterentwicklungs-Katastrophe.

Jetzt habe ich so viel gemeckert, dass ich doch auch die positiven Aspekte hervorheben muss. Immerhin habe ich beinahe 50 Stunden gespielt. Das tut man nicht, wenn das Spiel eine absolute Katastrophe ist.

Das ist Fallout 4 auch auf gar keinen Fall. Denn das grundlegende Spielprinzip macht auch mit den erwähnten Schwachstellen einen riesen Spaß! Hinter jeder Ecke lauern neue Aufgaben, neue Geheimnisse zu entdecken und dieses „Nur-noch-eine-Quest“-System geht auch in Fallout 4 voll auf. Dazu wirkt das Gameplay nun dank des besseren Gunplays viel flüssiger und actionreicher. V.A.T.S. funktioniert weiterhin äußerst gut und bietet taktische Tiefe. Das Commonwealth kann mit abwechslungsreichen und interessanten Schauplätzen aufwarten. Es gibt unzählige Charaktere, die alle eigene Ziele verfolgen und wunderbar charakterisiert und geschrieben sind. Man kann sich in dieser Welt wirklich verlieren. Kaum die Playstation angeschaltet und schwups ist das Wochenende schon wieder rum.

Auf der Kehrseite aber, eignet sich Fallout 4 nicht für die schnelle Partie zwischendurch. Aus diesem Grund schiebe ich das Spiel wohl auch immer seltener in meine Konsole. Mir fehlt einfach die Zeit, mich wieder voll auf diese Welt einzulassen.

Zur Technik möchte ich gar nicht mehr so viel sagen. Nur so viel, sie wirkt extrem angestaubt. Vor allem die Charaktermodelle sind alles andere als zeitgemäß. Trotzdem versprüht die Spielwelt seinen ganz eigenen Charme und kann durchaus hübsch aussehen. Nur im Detail werden die Schwächen mehr als deutlich. Auch die häufigen und mitunter ziemlich langen Ladezeiten werden mit der Zeit immer nerviger. Da muss dringend eine neue Engine her. Vor allem aber die Präsentation kränkelt. In Dialogen stehen sich die Figuren starr gegenüber und leiern ihren Text herunter. GÄHN!

Dieser Test liest sich katastrophal. Das liegt vor allem an meiner großen Zuneigung zum Fallout Franchise und meinen hohen Erwartungen. Dazu hat ein The Witcher 3 Maßstäbe gesetzt, die Bethesda einfach nicht erreichen kann. Die im Ansatz gute Story geht durch die lahme und unfokussierte Erzählung verloren. In den Bereichen der Dialoge und Charakterentwicklung ist Fallout 4 ein klarer Rückschritt im Vergleich zum Vorgänger. Genau diese Punkte haben mich immer mehr daran gehindert, zu dem Titel zurückzukehren. Fallout 4 ist bei weitem kein schlechtes Spiel, nur für mich ist es eine klare Enttäuschung, eine Enttäuschung auf verdammt hohem Niveau, aber dennoch eine Enttäuschung.

Pro:
+ im Kern interessante Story, mit persönlicher Motivation
+ riesige Spielwelt mit unzähligen Aufgaben und Geheimnissen
+ Quest-Suchtspirale funktioniert wie gewohnt
+ interessante und abwechslungsreiche Schauplätze
+ interessante Charaktere
+ flüssigeres, actionreiches Gameplay
+ fordernder Schwierigkeitsgrad

Kontra:
- Story verliert sich in banalen Quests und der schlechten Präsentation
- zu viele „Bringe-alles-um“ oder „Hole-X-von-Y“ Quests
- schlechtes Dialogsystem ohne echte Auswahl
- umständliche Charakterentwicklung (Wer soll denn den ganzen Scheiß finden?!)
- veraltete Technik, die ihre Schwächen vor allem bei den Charaktermodellen offenbart
- häufige und teilweise sehr lange Ladezeiten


Wertung: 7/10

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